Fischerei gestern, heute, morgen

Die Fischerei

Zeestboote und Fischtrawler

Wenn der Wind die charakteristisch braunen Segel aufbläht, gleiten sie lautlos über den Bodden, die Zeestboote, das traditionelle Fischerboot der Küstenfischerei an Mecklenburg-Vorpommerns Küste. An Bug und Heck ragen lange Spieren heraus, an denen Treibnetze für den Heringsfang befestigt sind. Die Tradition der Zeesenfischerei ist viele hundert Jahre alt. Damals war das Leben als Fischer noch härter, als es heute noch ist. Bis zu sechs Tage ließen sich die Fischer quer zur See treiben und zogen das weit geöffnete Netz an den an Bug und Heck angebrachten Spieren hinter sich her. Der Frachtraum wurde für den Fisch geflutet, um dem Boot Stabilität zu verleihen und den Fang frisch zu halten. Am Bodstedter Bodden findet auch heute noch jedes Jahr eine Zeestbootregatta mit den eichernen Traditionsbooten statt. Ein Pendant zu den Zeestbooten und der Fangmethode gab es früher bei den venezianischen Fischern. Die Boote sind in Italien inzwischen ganz von der Bildfläche verschwunden. Die Gondeln in Venedig gelten als deren Nachfolger. Mit ihnen fängt man heutzutage aber keinen Fisch mehr, sondern Touristen.

In der DDR gab es keine privaten Fischer mehr. Diese wurden in Fischereiproduktionsgenossenschaften (FPG) zusammengeschlossen, die wiederum in den drei volkseigenen Kombinaten in Rostock, Sassnitz und Wismar organisiert waren. Nach dem Krieg war es vor allen Dingen der Hunger und der Mangel an hochseetauglichen Schiffen in der Ostsee, die geeignet gewesen wären, Fangmengen anzulanden, die für die Versorgung der Bevölkerung ausreichend gewesen wären. Also konzentrierte man sich auf den Bau und Betrieb hochseetauglicher Logger, die mit ihren Schleppnetzen größere Mengen Hering fingen, die in sogenannten Loggereien verarbeitet wurden. In den 1950er-Jahren wurden diese ersetzt durch stählerne Seitentrawler, Fangschiffe, die bis nach Island, Kanada oder Mosambik fuhren, mehrere Monate auf See blieben und ihren Fang an Verarbeitungsschiffe auf See übergaben.

Fischerei heute

Nach der Wende hatten die Fischer die Option, sich weiterhin in Genossenschaften zu organisieren. Doch das Streben nach Unabhängigkeit und die Anknüpfung an alte Familientraditionen waren in der Regel stärker. Die meisten entschieden sich dagegen, machten sich selbstständig, und es entstanden ca. 1800 Fischereibetriebe. Die fingen pro Jahr ca. 80 000 Tonnen Hering und 15 000 bis 20 000 Tonnen Dorsch. Heute sind es noch 180 Betriebe – Tendenz fallend. Die Gründe dafür sind vielfältig und Gegenstand zahlreicher wirtschafts- und umweltpolitischer Diskussionen.

Die gesamte Zuständigkeit für Fischereifragen liegt nicht mehr in Deutschland, sondern bei der EU-Kommission, die ihre Entscheidungen durch den International Council for the Exploration of the Sea (ICES), einem Team aus Wissenschaftlern, zu denen z.B. das Thünen-Fachinstitut für Ostseefischerei oder das Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde gehört und mit Forschungsdaten untermauern lässt. Die Heringsquote wurde somit auf 6000 Tonnen, die des Dorsches auf 3000 Tonnen herabgesetzt. Heringe benötigen vier Jahre und Dorsche sechs Jahre Zeit zum Heranwachsen, bis sie guten Laich produzieren. Solange kann kein Fischer, der Kredite für Boote und Ausrüstung bedienen muss, sein Boot im Hafen festmachen.

Die Zukunft der Fischerei – Agenten der Meere

Früher war der Fischer ein Jäger. Seit es das Tool Fishfinder gibt, hat sich das gesunde Verhältnis zwischen Jäger und Gejagtem, Fischer und Fisch zuungunsten der Fische fraglos verschoben. Um die Bestände zu schützen, müsste, nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, die Heringsfischerei bis Ende 2021 (auf längere Sicht) eingestellt werden. Das würde für die Kutter- und Küstenfischerei, für die in diesem Segment hart arbeitenden Menschen und für eine lange Familientradition zweifellos das Aus bedeuten.

Um der Umwelt und den Menschen gleichermaßen gerecht zu werden, sind verschiedene Modelle entwickelt worden, die Lebensgrundlage der Fischer zu erhalten. Dabei spielt in den Überlegungen zur Rettung dieses traditionellen Berufes die Direktvermarktung eine zentrale Rolle. Die ersten Erfolge des Wandels vom Bild des Fischers im Südwester mit Vollbart und Pfeife, der in Erinnerungen an die gute alte Zeit schwelgend in den Sonnenuntergang blickt, hin zum smarten Multitalent, sind vollzogen. Inzwischen gibt es einige Betriebe an der Küste, die selbst räuchern und neben dem Verkauf über die „Kante“ des Kutters, ihren Fisch in eigenen Gaststätten, Kutterkneipen, Ladengeschäften oder Manufakturen anbieten. Als besonders effizient hat sich dafür der Zusammenschluss von mehreren Fischereibetrieben zu Genossenschaften erwiesen, die integrative Konzepte verfolgen und neben dem reinen Abverkauf des Fisches Unterkünfte, Angelfahrten und Ausfahrten auf Kuttern oder Ausrüstung in Angelgeschäften anbieten.

Die Möglichkeiten, den Beruf des Fischers genauso zu erhalten, wie die Fischbestände in der Ostsee, sind damit bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Richtungsweisende Konzepte in Norwegen, Japan und den USA prüfen die Möglichkeiten, wild lebende Bestände in der offenen See zu bewirtschaften und dafür das akkumulierte Wissen von Fischern, das seit Tausenden Jahren von Generation zu Generation weitergetragen wurde, zu nutzen. Dieses wertvolle Wissen von Menschen, die ihr Leben auf dem Meer und mit dem Fisch zugebracht haben, wird um eine neue, interdisziplinär ausgebildete Generation Fischersleute, für die Forschung ergänzt. So können die sich in einem ständigen Wandel befindlichen Rahmenbedingungen für die Fischbestände, Schifffahrtsrouten, Windparkanlagen, globale Erwärmung, Eutrophierung der See u.v.m. besser überwacht werden.

Praktisch sieht das so aus, dass Fischer Fanggebiete pachten und ihren eigenen Bestand bewirtschaften, hegen, pflegen und im Einklang mit ökonomischen und ökologischen Prämissen entwickeln. In Aufzuchtstationen an der Küste widmet man sich dem Fischnachwuchs. Die in den natürlichen Bestand eingebrachten Tiere werden später gechipt, also mit kleinen Mikrochips gekennzeichnet. Werden sie gefangen, wird der Chip ausgelesen, und es können anhand des darauf befindlichen Tierpasses Rückschlüsse auf das Wachstum- und Wanderungsverhalten der Fische gezogen und bei Bedarf erforderliche Maßnahmen ergriffen werden.

Dieser Paradigmenwechsel erscheint derzeit als der sinnvollste Weg in eine wissensbasierte Fischerei der Zukunft. Die Rettung der Meere, des Fischbestandes und eines Berufsstandes, der von und mit dem Meer lebt, sind dann die höchsten Gebote, die nicht mehr voneinander isoliert betrachtet würden. Mit der Zukunft der Fischerei werden nicht allein die Weichen für das Schicksal eines einzelnen Berufsstandes gestellt. Es geht um die Erhaltung des Ökosystems Ostsee, um eine Biosphäre, in dem Natur und Mensch, Fisch und Fischer, Konsumenten und Industrie in existenzieller Abhängigkeit voneinander zu Hause sind.

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