Thomas Koldevitz – Gager auf Rügen
Die Fischerei ist seine Jugendliebe
Direkt am Hafen von Gager steht „Onkel Toms Hütte“. Und die gehört Thomas Koldevitz. Bereits mit vier oder fünf Jahren fuhr Thomas das erste Mal mit seinem Onkel zum Fischen raus. Von da an stand für ihn fest: Ich will Fischer werden. Wenn er aus der Schule kam, flog die Büchertasche in die Ecke, und er lief runter zum Hafen. Einen anderen Beruf auszuüben, kann er sich nicht vorstellen. Doch, einen: Minister.
Klappern gehört zum Handwerk
Seine Fischerhütte im Hafen von Gager quillt über von Bildern seiner Fangfahrten, seiner Familie und Zeitungsartikeln über ihn, seine Crew und seine Arbeit. Wer den geschäftigen und lebensfrohen Mann mit dem nordischen Humor nicht ohnehin schon kennt, der wird ihn in den Speisekarten einiger Gaststätten und Restaurants abgelichtet finden. Den Wirten ist es wichtig, dass ihre Gäste wissen, dass das, was auf ihrem Teller landet, aus der regionalen Fischerei kommt. Postkarten mit romantischem Wintermotiv vom Hafen in Gager und seinen Fangbooten verteilt er gern. Darauf findet sich nämlich seine Telefonnummer. Über die kann sich jeder über den aktuellen Tagesfang erkundigen.
Ohne Worte
1969 geboren, ist er hier auch zur Schule gegangen. Sein Handwerk als Vollmatrose der Hochseefischerei hat er zwischen 1986 und 1988 im Fischkombinat Sassnitz erlernt. 1993 hat er seinen Meister gemacht, um seinen Sohn Florian ausbilden zu können. Der wird eines Tages in seine Fußstapfen treten, so wie Thomas Koldevitz den Betrieb von seinem Vater übernommen hat. Sein Fischkutter, die „Seeadler“, wird mit einer Mannschaft von drei Mann betrieben: Thomas Koldevitz, seinem Sohn Florian und Sandro, der in der Saison mitarbeitet. An Bord muss man sich ohne Worte verstehen. Jeder muss alles und für jeden einspringen können.
Wind von vorn
Vor dem Meer muss man Respekt haben, ansonsten fordern Wind und Wetter irgendwann ihren Tribut. Aber Angst darf man nicht haben. Dann hat man den falschen Beruf. Schwimmen kann Thomas nicht. Dafür hat er eine Schwimmweste. Wo sollte er auch hinschwimmen, wenn das Boot unter ihm versinkt. Das sieht seine Lebensgefährtin ein wenig anders. Sie macht sich schon Sorgen, wenn draußen ein Gewittersturm tobt, und sie weiß, dass ihr Kerl noch nicht wieder in den sicheren Hafen eingelaufen ist. Rausfahren dürfen sie bis Windstärke 6. Das ist schon richtig Wind von vorn. Aber was soll man machen, wenn man draußen ist und ein Gewitter kommt? Da hat er auch schon mal Windstärke Beaufort 10 gehabt. Das ist die offizielle Skala für Windgeschwindigkeiten. Die reicht bis 12 – Orkan. Bei Windstärke 10 bläst einem der Wind mit 89 bis 102 Stundenkilometern ins Gesicht. Wer sich das nicht vorstellen kann, einfach mal den Kopf bei Tempo 100 aus dem Autofenster halten: Schutzbrille dabei nicht vergessen. Wer nicht seefest ist, füttert bei Windstärke 6 bereits die Fische. Ansonsten ist eigentlich nur Nebel gefährlich. Da muss man die Ohren spitzen. Bisher ist nichts passiert. Allerdings kann es mal vorkommen, dass man sein Netz über das eines anderen Fischers legt. Doch da gibt es eine ganz klare Regel. Wenn man es nicht weggezogen bekommt, wird das obere Netz abgeschnitten. Damit findet man sich ab, und gut ist!
Der frühe Vogel fängt den Wurm
Morgens um 3 Uhr geht es raus in die Fanggründe. Die Küstenfischer betreiben passive Fischerei. Das heißt, die „Seeadler“ zieht kein Netz hinter sich her, sondern es werden Stellnetze und Reusen ausgebracht. Für Thomas die den Bestand schonendste Methode: „Die schwimmen ja freiwillig da rein, und drin bleiben nur die, die mit der vorgeschriebenen Maschenweite gefangen werden dürfen.“ Was er fängt, wird akribisch im Fangtagebuch aufgelistet. Die Richtigkeit wird sowohl auf dem Wasser wie auch an Land kontrolliert. Man muss dafür nicht das große Latinum haben, allerdings die lateinischen Namen der Fische kennen. Immerhin, so bekommt der Beruf des Küstenfischers eine akademische Note. Wo die lukrativsten Gründe sind, hat er sich von den alten Hasen abgeguckt. Die besten Fanggründe sind dort, wo Muschelgrund ist, harte Sande und Steingründe, wo der Fisch sich vestecken kann. Denn wir haben ja gelernt: Ins Netz schwimmt er freiwillig. Gegen 10 Uhr läuft das Boot wieder in den Hafen ein. Was dann noch nicht küchenfertig aufbereitet ist, wird direkt am Anleger verarbeitet und verkauft.
Fischers Fritz fischt frische Fische
Das Meer hat keinen Onlinekatalog, aus dem man per Knopfdruck ordern kann. Das Ergebnis einer Fangfahrt ist immer eine Mischung aus Erfahrung, Glück und Fangquoten. Die Saison beginnt, wenn das Eis geht und endet, wenn das Eis kommt. Üblicherweise tauchen die Heringsschwärme gegen Ende Oktober vor der Rügener Küste auf und verbringen hier den Winter. Bis zum kommenden Frühjahr ernährt der Hering die Rügener Fischer – er ist und bleibt der Brotfisch. Alle anderen Fische, wie der Barsch, Zander, Hecht, Flunder und Steinbutt, sind Grundfische und werden bis Ende Juni/Anfang Juli gefangen. Mit den Einnahmen des ersten halben Jahres müssen die Unkosten für das Boot eingefahren werden. Der Hering geht zum größten Teil an regionale Ankäufer. Doch auch Händler aus Barth, Wismar und sogar aus Berlin ordern bei Thomas Koldevitz.
Arbeiten, wo andere Urlaub machen
Was die Halbinsel Mönchgut für Thomas Koldevitz zur Heimat macht, sind die Menschen: die Familie, die alten Schulfreunde, Kollegen und die treuen Urlauber, die jedes Jahr wiederkommen, um bei ihm Fisch zu kaufen. Man kennt sich oder lernt sich kennen. Dazu braucht er kein Smartphone. Der neueste Klatsch und Tratsch wird hier noch persönlich übermittelt. Manchmal drängeln sich 30 bis 40 Personen vor „Onkel Toms Hütte“. Das spricht für die Qualität der Ware. Die Art und Weise, wie die Bestellung aufgegeben wird, ist sehr unterschiedlich. Manche rufen an, andere schauen einfach vorbei und kaufen, was gerade gefangen wurde, und wieder andere stellen auch schon mal eine Tasche mit zwei Flaschen Bier und einem Zettel, auf dem der Wunschfisch notiert ist, am Kutter ab. Dafür wird der Fang küchenfertig übergeben, und wenn bei Vollmond viele Flundern die Fischkisten füllen, zeigt Thomas sich im Gegenzug großzügig und packt etwas mehr in die Tüte.
Auf die Frage, was sein Lieblingsgericht ist, hat er eine schnelle Antwort: „Schnitzel mit Pilzen. Wenn er den ganzen Tag mit Fisch zu tun hat, muss er den nicht auch noch auf dem Teller haben. Wenn er entspannter ist, dann gehören allerdings gegrillte Flunder mit frischem Salat und sauer eingelegter Hornfisch zu seinen Favoriten. Also doch Fisch.