Roberto Brandt Baabe auf Rügen
Wenn bei Baabe die Sonne im Meer versinkt
Mit 62 Jahren gehört Roberto Brandt zu den alten Hasen der Küstenfischerei in Baabe auf Rügen – aber bestimmt nicht zum alten Eisen. Die Haut, von Wind, Sonne und Salzwasser gegerbt …, man könnte glauben, er käme frisch aus dem Urlaub in Italien. Erst ein Blick auf die Hände verrät dem Betrachter, dass dieser stattliche Mann sein Brot mit harter Arbeit auf See, auf einem Fischerboot, verdient.
Seemann, deine Heimat ist das Meer ...
Seit mehr als 40 Jahren fährt Roberto Brandt bereits auf das Meer hinaus. Alles begann 1972 mit seinen Bemühungen um eine Lehrstelle als Fischer. Weil er nicht aus einer alteingesessenen Fischerfamilie stammte, erwies sich das als ein nicht ganz einfaches Unterfangen. Doch dann der Volltreffer: ein Ausbildungsplatz in Rostock. Für den jungen Mann war Rostock eine Weltstadt. Bis dato hatte er noch nie zuvor eine Fußgängerampel bedient. Die gab es in Baabe nämlich nicht. Doch Roberto wäre nicht Roberto, hätte er diese Hürde nicht gemeistert. So führte ihn sein Weg in eine dreijährige Ausbildung zum Hochseefischer. Schnell wurde ihm klar, dass ein Fischer weit mehr können muss, als Fische aus dem Wasser ziehen. In der Metallwerkstatt wurden Schweißen und Schmieden, auf dem Netzboden die Herstellung und Reparatur von Fangnetzen und am Kartentisch die Grundlagen der Navigation gelehrt. Und dann ging es endlich hinaus aufs Meer. Nicht vielen Menschen war es damals vergönnt, ferne Länder zu bereisen. Auf dem 65 Meter langen Seitentrawler „Berlin“ des Fischkombinates Rostock ging es auf Fangfahrt. Die Arbeit war hart, doch Roberto Brandt kam herum in der Welt, so wie es sich für einen Seemann gehört. Norwegen, Island und Kanada hat er gesehen. Das Schwesterschiff, die „Gera“, und den damit einzig verbliebenen Seitentrawler, kann man noch heute im Museumshafen in Bremerhaven besuchen.
Junge, komm bald wiedernach Haus
1982 zog es den Fischer zurück in die Heimat, und er konnte endlich die Stelle eines Fischers übernehmen, der in Rente ging. 1986 stieg er zum Brigadier der Reusenbrigade der Fischereigenossenschaft Seedorf-Baabe auf, zu der darüber hinaus die Orte Alt Reddevitz, Neu Reddevitz und Sellin gehörten. Das war die goldene Zeit der Fischerei auf dem Mönchgut im Südosten der Insel Rügen. 1989 waren in der Genossenschaft noch 70 Fischer, 20 Kollegen in der Fischverarbeitung und fünf Frauen im Büro plus dem Chef beschäftigt. Mit der Wende war es den Kollegen trotz vieler Versuche und Anstrengungen nicht möglich, den Genossenschaftsbetrieb in Baabe aufrechtzuerhalten. Die alten Holzboote waren reparaturanfällig; ständig schwankende Aufkaufpreise für den Fisch, steigende Kosten und eine zunehmende Flut bürokratischen Aufwands bedeuteten 1992 das Aus für die gemeinsamen Anstrengungen, die Fischerei in Brandts Heimatort am Leben zu erhalten.
Hier kommt nur Fisch auf den Tisch
Heute nennt er ein offenes 6,80 Meter langes Strandboot sein Eigen, dessen Aluminiumhaut mit den ersten Sonnenstrahlen am Morgen wie ein überdimensionaler Hering auf dem Trockenen silbern am Strand von Baabe funkelt. Zusammen mit seinem Sohn und seinem Fischergehilfen Wolfgang geht es, wann immer es das Wetter oder die Fangquote zulassen, damit hinaus in den Baaber Bodden. Mit Stellnetzen, Schwimm- und Aalreusen geht es auf Heringsfang im Frühjahr, im April kommen der Hornfisch und Steinbutt, und im Herbst beginnt die Aalsaison. Die meiste Arbeit macht das Auspulen, das Puken der Heringe aus dem Netz. Das wird direkt am Strand erledigt. Die Ölhemden, überdimensional lange orange Öljacken, sehen danach aus wie ein mit glitzernden Pailletten besetztes Abendkleid. Nur, dass es nicht den Duft von Chanel Nr. 5 verströmt.
Es ist ein hartes Brot
Von der Küstenfischerei allein kann ein Fischer auf Rügen nicht überleben. So fängt Roberto für seine eigene Gaststätte „Zum Fischer“, direkt am Weg hinunter zum Hafen von Baabe, Dorsche, Barsche, Meerforellen, Flundern, Hechte und in seltenen Fällen auch mal einen Zander. Mit einem Team aus insgesamt neun Kollegen wird der fangfrische Fisch geräuchert, gesalzen, eingelegt, mit selbst hergestellter Remouladensauce und traditionellen Kräutermixturen verfeinert und schließlich seinen Gästen serviert. Zu den Spezialitäten auf der Speisekarte gehört der Heringsteller mit mariniertem Hering, eingelegtem Kräutermatjes, einem leicht pfeffrigen Bismarckheringsfilet und sauer eingelegtem Hering. Dafür rennen die Urlauber ihm zur Saison gern mal die Bude ein. Doch auch und gerade die Einheimischen wissen die Qualität seiner Fische zu schätzen, und der Abverkauf von Räucherfisch, Fischsoljanka im Glas, Heringssalat, Matjes und Kräuterhering aus eigener Produktion flutscht so gut wie ein Fisch aus der Hand.
Wer Roberto Brandt einmal bei seiner Arbeit beobachten durfte, wie sein Blick ebenso wachsam über jedes einzelne Gericht, das die Küche seiner Gaststätte verlässt, wie über die See auf der Suche nach den Delikatessen des Meeres schweift, der wird wissen, dass er hier einen der letzten verbliebenen und zum Fischer Berufenen auf Rügen getroffen hat. Man kann mit ihm übrigens auch wunderbar über Fußball schnacken.